Wie ein Dirigent streckt Herwig Fischer beide Hände in die Luft und deutet mit ihnen auf Maschinen und Mitarbeiter. Zuerst mit der linken, dann mit der rechten Hand. In der großen Halle vor ihm lagern Carbonfasern auf großen Spulen, riesige Pressen formen aus sogenannten Preforms Autobauteile. Obwohl Werksleiter Fischer schon oft Besucher durch die österreichischen SGL-Standorte Ried und Ort im Innkreis geführt hat, spürt man seine Begeisterung.
Rund 60 Kilometer nordöstlich von Salzburg liegen die beiden SGL-Standorte im Idyll. Hier treibt die SGL Carbon die Serienfertigung im Leichtbau mit faserverstärktem Kunststoff voran. Entstanden ist die Composite-Fertigung in Ried aus einer Produktionsstätte des Sportartikelherstellers Fischer, der schon um die Jahrtausendwende einige Jahre lang selbst an Leichtbaukomponenten für die Automobilindustrie arbeitete und bis heute in direkter Nachbarschaft Hochleistungsski herstellt.
Was wir hier mit Carbon und anderen Fasern machen, ist ein Stück Autokarosserie der Zukunft – egal, ob das Auto mit einem Elektro- oder einem Verbrennungsmotor angetrieben wird.
Herwig Fischer, Werkleiter der österreichischen SGL-Standorte in Ried und Ort im Innkreis
Von der Manufaktur zur Großserie
Im Jahr 2009 kaufte die SGL Carbon dem Skihersteller gemeinsam mit dem Automobilzulieferer Benteler dann einen Teil seines Werks in Ried im Innkreis ab. Im Joint Venture Benteler-SGL bauten die Unternehmen anschließend ein Kompetenzzentrum für Leichtbau auf. Die einzigartigen Anlagen und Projekte wurden zum Grundstein für die heutige Serienfertigung, mit der die SGL weltweit längst zu den Marktführern gehört.
Pro Tag produzieren die beiden Werke in Ried und Ort unter SGL-Regie mittlerweile eine Vielzahl von Bauteilen in Serie, darunter Heckflügel für den Porsche 911 GT3, Rückwände für den Audi R8, Bauteilsätze für den BMW i3 oder Blattfedern für verschiedene Volvo-Modelle. „So etwas gab es bis vor einigen Jahren in der nach wie vor jungen Branche einfach nicht“, sagt Fischer.
Für die SGL Carbon sind die Werke in Österreich ein wichtiger Baustein ihrer neuen Strategie. Vor etwa einem Jahr übernahm das Unternehmen die Anteile des Joint-Venture-Partners Benteler und schloss damit die letzte Lücke in der Wertschöpfungskette für Verbundwerkstoffbauteile. Der Precursor, Ausgangsstoff für die Produktion von Carbonfasern, wird in Portugal produziert, die Fasern in den USA und Schottland. Die Weiterverarbeitung erledigen Mitarbeiter an verschiedenen Standorten in Deutschland, die fertigen Bauteile werden in Österreich hergestellt.
„Vor allem bei komplexen Bauteilen bietet sich ein Mix aus manueller und maschineller Fertigung an“, erklärt Gerhard Traunwieser, der als Teamleiter einen Teil der Fertigung am Standort Ried überwacht. So ist es auch beim Heckdeckel für den Porsche GT3. Die Fertigung beginnt in Ried, sobald die feinen Fasermatten angeliefert werden. Ein sogenannter Cutter schneidet sie mit einem Ultraschallmesser auf Wunschgröße, während das Material noch trocken und nicht mit Kunststoffharz imprägniert ist.
Die zugeschnittenen Mattenstücke werden anschließend modelliert. Nach der Herstellung dieser Preforms gewinnt das Bauteil an Form. Die Carbonfasern sind perfekt, um geometrisch komplexe Bauteile mit besonders effizientem Materialeinsatz herzustellen. Denn die Fasern werden in Menge und Ausrichtung genau so im Bauteil platziert, wie der Heckdeckel des GT3 sie braucht, um sein geschwungenes Design anzunehmen und gleichzeitig so leicht wie möglich zu sein.
Nun gibt ein Mitarbeiter die Preform in das Werkzeug. Die Presse schließt sich und erzeugt im Inneren ein Vakuum. Über das Harzinjektionsverfahren strömen Kunststoffharz und Härter dosiert ein. Schließlich härtet das Teil aus. Auf diese Weise entstehen die Außenschale, die Innenschale, die Innenschalenabdeckung, die zwei Lufthutzen und der Flügel des Heckdeckels. Aus flüssigem Wachs wird im Prozess ein stabiler Kern gegossen, der als Träger für die definierten Bauteile aus Verbundwerkstoff dient und später ausgeschmolzen wird. Dadurch entsteht eine Hohlstruktur. „Das Teil wird so noch leichter“, erklärt Traunwieser.
Von der Kleinserie in die Großserie
Je nach Auftrag eignet sich für die Produktion auch heute noch die manuelle Fertigung am besten. Jeden Tag sammelt sich so Wissen über Produktionsabläufe an, das oft die Grundlage für die Großserie am Fließband bildet.
Seit Anfang 2018 leitet Fischer die Geschäfte in Ried und Ort. Er hat Logistikmanagement studiert und die Entwicklung der Standorte vom Joint Venture bis zur Übernahme durch die SGL seit 2009 in verschiedenen Funktionen begleitet. Der Antrieb des gebürtigen Oberösterreichers: Als technikbegeisterter und gut strukturierter Kaufmann will er Bindeglied zwischen Mitarbeitern, Fachthemen und Serienfertigung sein.
Es sind Charaktereigenschaften, auf die es bei der ständigen Transformation der Werke ankommt. Während in Ried noch viel per Hand gebaut wird, läuft die Fertigung in Ort im Innkreis oft vollautomatisch ab. In der erst 2012 von null aufgebauten Produktion laufen auf insgesamt 10.000 Quadratmetern rund 100 verschiedene, in vielen Fällen direkt ineinandergreifende, automatisierte Einzelprozesse ab.
Um bei dieser Komplexität nicht den Überblick zu verlieren, treffen sich Werkleiter Fischer und seine wichtigsten Mitarbeiter jeden Morgen um 9 Uhr im Control Room. Draußen schnellen, surren und zischen die Maschinen hin und her, drinnen schmücken Diagramme und Auswertungen der letzten Schichten die Wände. „Hier überwachen und steuern wir die Produktion“, erklärt Fischer. Wie hoch war der Output in der letzten Schicht? Gab es Zwischenfälle? Wie ist die Qualität der Bauteile? „All diese Informationen laufen hier ein und es ist an uns, Schlüsse daraus zu ziehen und Maßnahmen abzuleiten“, sagt Fischer.
In regelmäßigen kurzen Abständen fällt am Ende der Produktionslinien eine fertige Blattfeder vom Band. Selbst Qualitätskontrolle und -dokumentation über zweidimensionale Code Labels laufen automatisiert ab.
Robert Hütter, Vertriebsleiter der SGL Carbon in Österreich
Die beste Zeit bricht gerade erst an
In der Fabrik greifen, sortieren und drehen die Roboter die Bauteile entlang der Fertigungslinie vollkommen autonom. So fertigen sie zum Beispiel die Blattfeder für Volvo Cars. Das Bauteil zeigt, wie sich der Fokus der SGL und mit ihm die Werke weiterentwickelt haben. „Wir liefern dem Kunden nicht mehr nur Material, sondern bieten Lösungen und Projektbegleitung aus einer Hand. Mit diesem Ansatz haben wir es geschafft, hier etwa für Volvo Cars eine halbe Million Blattfedern im Jahr zu bauen“, sagt Robert Hütter, der im Vertriebsteam der SGL Carbon mit seinem Team unter anderem den Kunden Volvo Cars verantwortet.
Heute läuft die Volvo-Feder in zwei Linien vom Band. Wie in Ried werden auch hier erst Preforms geschnitten, in die Pressformen abgelegt, unter Druck mit Harz vermischt, ausgehärtet und anschließend mit Fräsen endbearbeitet. Doch in Ort läuft alles automatisch ab.
Dieser hohe Grad an Automatisierung überzeugt auch immer mehr Kunden. Längst laufen weitere Entwicklungsprojekte für maschinelle Serienfertigung im Automobilbereich, zum Beispiel die Erweiterung der Blattfederkompetenz auf eine alternative Fertigungstechnologie, sowie ein zusätzliches Serienprojekt mit einem weiteren großen Automobilhersteller. Wenn es nach Herwig Fischer geht, werden sie hier demnächst auch noch ultraleichte und höchst stabile Bauteile für andere Industrien wie die Luftfahrt fertigen.
Die Transformation von der Skimanufaktur zum Hightech-Produktionszentrum und Pionierstandort für Leichtbau in Serie könnte also noch viel weiter gehen. Die beste Zeit für Fischer, Hütter und die insgesamt 250 Mitarbeiter in Ried und Ort bricht gerade erst an.