Reiner Beton ist eigentlich per se anfällig gegenüber Zugkräften. Die Erfindung des Stahlbetons löste dieses Defizit, brachte aber ein neues Problem: Um den rostanfälligen Stahl vor gefährlicher Nässe zu schützen, muss er zentimeterdick mit Beton ummantelt werden. Heutige Betonbauten verschlingen deswegen viel mehr Material als nötig.
Carbonfasern könnten hier helfen. Als gitterförmiges Textil oder zu Stangen geformt sind sie in vielen Bereichen ein möglicher Ersatz für Stahl. Der neue Werkstoff ist flexibler und spart jede Menge Beton, weil Carbonfasern neben ihrem geringen Gewicht und ihrer hohen Zugfestigkeit nicht rosten. Deswegen müssen sie weniger dick ummantelt werden. Die Carbonfasern setzen den Stahlbeton sozusagen auf Diät.
Wir stehen noch am Anfang der Entwicklung, aber das Potenzial für Carbonbeton ist riesig.
Dr. Frank Schladitz, Geschäftsführer C³ - Carbon Concrete Composite
Entwickelt wird der neue Anwendungsbereich unter anderem von einem Netzwerk aus Forschern und Unternehmen mit dem Namen C³ - Carbon Concrete Composite, der weltweit größten Forschungsinitiative zu Carbonbeton mit Sitz in Dresden. Die SGL Carbon bringt sich mit Know-how und den eigenen Materialien in die Initiative ein.
Fassaden, Brücken, Silos und mehr
Die Anwendungen von Carbonbeton sind extrem vielfältig. Das Bauunternehmen Goldbeck beispielsweise plant bereits die ersten Parkhäuser mit Deckenplatten aus Carbonbeton, die dünner und korrosionsbeständig sind.
Ein weiterer Einsatzbereich sind Brücken. Allein in Deutschland stehen 40.000 Fluss- und Autobahnbrücken, die immer größeren Lasten standhalten müssen und im Winter durch Salz und Schnee angegriffen werden. Carbonbeton hält beides problemlos aus. An der TU Berlin wird aktuell ein 20 Meter langes Brückenbauteil im Dauereinsatz getestet, in dem auch Material der SGL Carbon verbaut ist.
In der Praxis kann mit Carbonbeton nicht nur effizienter, sondern auch schneller gebaut werden. In einem Pilotprojekt wurden die Wände von Zuckersilos mit nur einen Zentimeter dicken Carbonbetonschichten saniert. Ihr Fassungsvolumen blieb dadurch fast vollständig erhalten. Da die Carbontextile im Gegensatz zu sperrigen Stahlmatten in handlichen Rollen geliefert werden, konnten die Arbeiter viel schneller und günstiger sanieren.
Für einen Einsatz im Wohnungsbau muss Carbonbeton allerdings noch eine entscheidende Hürde nehmen. Im Gegensatz zu Stahl ist er weniger hitzebeständig. Zurzeit forscht die C³-Initiative an besonderen Faserbeschichtungen, die Temperaturen bis zu 500 Grad Celsius standhalten und gleichzeitig eine gute Haftung zum Beton besitzen. Die Experimente laufen vielversprechend. Die Grundlagen für den Einsatz von Carbonbeton werden also gerade gelegt.