SGL Carbon fertigt Rückwand für Audi R8

04.07.2019

Die SGL Carbon fertigt extrem leichte und stabile Bauteile aus Verbundwerkstoff für die Automobilindustrie. Darunter: die Rückwand des Audi R8. Thomas Vielsecker hat das Bauteil von Anfang an mitentwickelt. Am Steuer des Rennwagens überzeugt er sich, wie das Rückgrat aus Carbon den Wagen auch bei extremen Manövern in engen Kurven und bei starken Beschleunigungen optimal auf der Bahn hält.

Durch eine gläserne Tür tritt Thomas Vielsecker hinaus ins Freie. Ein Wolkenschleier liegt über der Audi-Teststrecke in Neuburg an der Donau. Vor ihm wartet ein glänzend grauer Sportwagen, kraftvoll und schnittig: ein Audi R8. Der Motor läuft, aber Vielsecker zögert noch. Er genießt den Moment. Langsam umkreist er den Wagen, streicht über die dunkelgraue Verkleidung der Seitenspiegel, über die Seitenblenden, den Heckspoiler, alles aus Sichtcarbon. Unter der blitzblanken Heckscheibe liegt der Motor, ein schnurrendes Monster, zehn Zylinder, 610 PS. Dann öffnet Vielsecker die Fahrertür, steigt ins Cockpit und lässt sich in die Sitzschale sinken. Mit den Händen am Steuer tippt er im Leerlauf aufs Gaspedal. Die Maschine brüllt auf. Sechshundert Pferdestärken, eine schnaubende Herde, die es kaum erwarten kann, loszugaloppieren.

Hinter Vielsecker, zwischen seinem Sitz und dem Motor, befindet sich das Bauteil, an dem er so lange mitgearbeitet hat: die Rückwand aus Carbon, etwa zwei Meter breit, einen Meter hoch, produziert am SGL Carbon-Standort im österreichischen Innkreis. Schon bei der ersten Generation des R8, vorgestellt 2006, wurde carbonfaserverstärkter Kunststoff verbaut: an sichtbaren Stellen wie den Rückspiegeln, den Seitenblenden, dem Heckspoiler. Die Karosserie aber war noch komplett aus Aluminium. Mit der zweiten Generation, seit 2015 auf dem Markt, ist das Material im Zentrum der Fahrzeugstruktur angekommen. Hier muss die Rückwand starke Scherkräfte abfangen und im Falle eines Crashs Energie absorbieren. „Das ist sozusagen das Rückgrat der Karosserie“, erklärt Vielsecker.

Thomas Vielsecker, Teamleiter Sales, hat das Projekt von Anfang an betreut. Er kennt jedes Detail der Pläne, jeden Millimeter der Zeichnungen, jeden Winkel des Bauteils. Heute spürt er, wie sich das Ergebnis in der Praxis anfühlt: auf der Teststrecke, bei freier Fahrt. Er legt den Gurt an, zieht die Tür ran und schiebt den Schalthebel des Automatikgetriebes auf D für drive. Ein Kribbeln steigt in ihm auf, ein bisschen so wie damals, an seinem 18. Geburtstag, als er sich zum ersten Mal ans Steuer des Kleinwagens seiner Mutter setzte. Nur dass es dieses Mal kein Kleinwagen ist, sondern ein Audi R8 Coupé V10, daytonagrau, 330 Stundenkilometer Spitze, von Null auf Hundert in 3,2 Sekunden. Vielsecker hat schnelle Autos schon immer geliebt. Bei der DTM in Hockenheim und bei der Formel 1 am Österreichring sieht er ihnen als Zuschauer zu. Jedes Mal, wenn er den R8 auf der Straße entdeckt, steigt Stolz in ihm auf, seinen Teil zur Entwicklung des Rennwagens beigetragen zu haben.

Carbon hält extremen Kräften Stand

Langsam gleitet er über den Asphalt vor der verglasten Empfangshalle. Ein rotweißer Schlagbaum hebt sich, der R8 rollt auf die 2.200 Meter lange Rennstrecke. Nach einer lockeren Einfahrrunde biegt der R8 zum ersten Mal auf die Gerade. Vielsecker drückt aufs Pedal, der Motor faucht, der Schub drückt ihn in die Sitzschale. Innerhalb weniger Sekunden beschleunigt er auf 160 Sachen. Im nächsten Moment geht Vielsecker in die Eisen, steuert hart links, gleitet geschmeidig durch die Kurve. Extreme Kräfte wirken in solchen Momenten auf die Rückwand ein. Aber die gibt nicht nach, das Carbon steht. „Der Wagen liegt dadurch auf der Straße wie ein Brett“, sagt Vielsecker, und dann erst mal nichts mehr, weil er sich sofort auf die nächste Kurve konzentrieren muss.

Rückwand aus Carbon deutlich leichter als aus herkömmlichen Materialien

Der Wolkenschleier löst sich auf, die Sonne bricht durch und erleuchtet den Asphalt. Vielsecker wird jetzt von Runde zu Runde mutiger, bremst später, lenkt härter, beschleunigt früher. Weil bei Sportwagen jedes Gramm Geschwindigkeit kostet, müssen die Wagen so leicht wie möglich sein. Der Einsatz von carbonfaserverstärkten Kunststoffen liegt da auf der Hand. Sie sind 40 Prozent leichter als Aluminium. Manche Kurven nimmt Vielsecker jetzt so eng, dass er über die Curbs, die Randsteine, rattert. Den Sitz weit nach vorn gestellt, umklammert er das Lenkrad, hoch konzentriert, den Nacken angespannt vom Auflehnen gegen die Fliehkräfte. „Das ist richtig anstrengend“, erzählt er später in einer kurzen Verschnaufpause. „Respekt vor den Rennfahrern, die sowas stundenlang machen.“

Der Kurs hat nur eine kurze Gerade. Es kostet Konzentration, bei den vielen Kurven, die Orientierung zu behalten. Ruckartig wechselt das Panorama der Frontscheibe, zackig schießen von rechts und links flüchtige Bilder ins Sichtfeld: Leitplanken, Löwenzahnwiesen, schwarze Kastengebäude, flatternde weiße Fahnen, ein leichtsinniger Vogel, ganz nah. Schikane, links, wieder links, hart rechts. Wieder fliegen Leitplanken vorbei, Reifenstapel, Löwenzahn – es ist ein bisschen wie in der Achterbahn. Nur besser.

Die Rückwand ist sozusagen das Rückgrat der Karosserie.

Thomas Vielsecker, Teamleiter Sales und Mitentwickler der Carbon-Rückwand

Konzentration, Ausdauer und die Lust, etwas Neues zu wagen und aufs Gas zu drücken: Was Rennfahrer auszeichnet, brauchte auch das Entwicklerteam der Rückwand. 2011 kam die erste Anfrage von Audi, Produktionsstart war Ende 2013. Seither läuft die Serienproduktion, die noch bis 2022 fortgesetzt wird. Die ursprüngliche, klassische Aluminiumkonstruktion musste in ein faserverbundgerechtes Design überführt werden.

SGL Carbon entwickelt automatisierte Lösung von der Carbonfaser zum fertigen Bauteil

Weil es bei Carbonfaser-Bauteilen kaum standardisierte Fertigungsanlagen gibt, mussten Vielsecker und die Kollegen am österreichischen Standort rund 150 spezielle Werkzeuge, Formen und Montageanlagen entwickeln. Hergestellt werden die Bauteile, indem das vorgeformte Fasermaterial in ein beheiztes Stahlwerkzeug eingelegt wird und ein flüssiges Harz einströmt. Die chemische Reaktion härtet das Material aus. Am Ende steht nun ein Verfahren, bei dem 25 Carbonkomponenten und rund 200 Montageteile in einer vollautomatisierten Fertigungslinie zusammengefügt werden und zu einem einzigen, 22 Kilogramm leichten Teil heranwachsen, das der Kunde dann in seine Autos verbaut. Wobei es vier Variationen der Rückwand gibt: je eine für Coupé und Cabrio des Audi R8 und des auf derselben Plattform aufbauenden Lamborghini Huracán.

Carbon im Audi R8

Die Rückwand der SGL Carbon aus 25 Carbonkomponenten und rund 200 Montageteilen ist das Rückgrat der R8-Karosserie. Sie besticht durch ihre Leichtigkeit und garantiert dem Fahrer durch ihre ausgeprägte Steifigkeit eine hohe Sicherheit.

Carbon-Rückwand der SGL Carbon mit exzellenten Crash-Eigenschaften

Seine letzten Runden auf der Teststrecke in Neuburg kostet Vielsecker voll aus. Er tritt das Gaspedal ganz durch („Der Kickdown ist echt heftig!“), steigt dann voll in die Bremse, ruckelt über die Randsteine und rast mit quietschenden Reifen aus der Kurve. In einer harten Rechtskehre übertreibt er es, bricht über die Curbs hinaus in die asphaltierte Auslaufzone. Nicht weiter wild – aber ein kurzer Moment, der auf einen weiteren, entscheidenden Vorteil der Carbonfasern hinweist: Sie besitzen exzellente Crash-Eigenschaften, wie Aufpralltests und Überschlagversuche immer wieder beweisen. Bauteile aus Verbundwerkstoff verformen nicht. Bei extremen Crashs helfen sie, die Energie des Aufpralls zu absorbieren. „Nicht umsonst sind die Fahrerkabinen in der Formel 1 seit einigen Jahrzehnten aus Carbon“, sagt Vielsecker.

Am Ende hebt sich noch einmal die rotweiße Schranke, der R8 schleicht von der Strecke. Vielsecker blickt auf die Anzeige neben dem Tacho: Der heißeste Reifen, vorne rechts, steht dort, misst 67 Grad. Vor der Empfangshalle tritt er ein letztes Mal auf die Bremse und steigt aus. Überm Heck flimmert die Luft, es riecht nach verbranntem Gummi. Vielsecker sieht beseelt aus. „Härter als man denkt“, sagt er – und meint damit wohl beides: die Testfahrt und das Rückgrat aus Carbon.

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Thomas Vielsecker SGL Carbon
Thomas Vielsecker
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